Raus aus der Schublade
Ein ehemaliger Kollege wurde von Kunden schon als “Lebemann” bezeichnet und meine Tante fälschlicherweise für eine Sekretärin gehalten obwohl sie Prüfungsleiterin ist. Bestimmt kennst Du auch Situationen, in denen Du plötzlich von anderen Leuten in eine Schublade gesteckt wirst. Mir ist das zuletzt so passiert:
Es gibt eine wunderschöne Bank am Rhein, ganz im Süden von Köln. Als ich diesen Sommer einmal dort war, fragte ein Pärchen, ob es sich dazu setzen kann. “Gerne” sagte ich und rutschte beiseite.
Nach kurzer Zeit fingen die beiden an sich zu unterhalten und dachten laut darüber nach, wie sie einen Studenten für ihr Unternehmen einstellen können. Da fragte ich interessiert nach, wofür sie denn einen Studenten suchten. (Schließlich kannte ich noch ein paar Studenten und wusste auch, wie Unternehmen bei uns an der Uni Studenten akquirierten.)
Schublade auf, Schublade zu
Nach einer halben Stunde Unterhaltung über sie und ihr Geschäft fragte er mich, was ich denn studiert habe. “Informatik” erzählte ich ihm. “Ach Schatz”, meinte er zu seiner Frau, “das ist ein Blau-Orientierter”. “Ein was?” fragte ich zurück. “Ein Blau-Orientierter” sagte er und erklärte, was er meinte.
Er kannte ein Modell, nach dem Menschen in drei verschiedene Persönlichkeitstypen eingeteilt werden können. Blaue, Rote und Grüne Persönlichkeiten. Dabei ist der Blaue der analytische Denker, der Rote ist der ungeduldige Macher und der Grüne ist der sozial orientierte Menschenfreund. Dasselbe Modell gibt es auch noch in verschiedensten Varianten: Mit mehr Farben, mit Tieren wie bei Tobias Beck, etc.
Bequem und beschränkt
Unser Gehirn vereinfacht viele Impulse, um schnell darauf zu reagieren. Würde unser Gehirn das nicht tun, dann wäre der Energieaufwand exorbitant hoch, um jedes kleine Detail bis ins letzte auszuwerten. Es ist also normal, dass wir Menschen und Dinge gruppieren und damit in Stereotypen denken.
Allerdings wird das gefährlich, wenn wir anfangen unsere Stereotypen auf einzelne Menschen zu übertragen und daraus Vorurteile machen. Ein Beispiel: “Frauen können nicht einparken” ist der Stereotyp und wenn wir den auf eine bestimmte Person beziehen “das ist eine Frau, also kann sie nicht einparken” wird das zum Vorurteil.
Was sind also die Nachteile vom Schubladendenken? Und warum ist es so wichtig, als Berater erst mal nicht zu bewerten?
Offen auf Menschen zugehen
In Unternehmen gibt es die verschiedensten Persönlichkeiten. Nicht nur drei verschiedene, sondern die verschiedensten. Es gibt Menschen die brauchen Small-Talk um warm zu werden und es gibt Menschen die verabscheuen das. Es gibt leise, laute, langsame, schnelle, gestresste und freundliche Menschen und noch viele mehr.
Dabei ist das Empfinden des Gegenübers immer situationsbezogen!
Wenn jemand in einer bestimmten Situation etwas genau wissen möchte, dann ist er nicht zwingend ein blauer Persönlichkeitstyp. Vielleicht ist er nur bei dem speziellen Thema besonders vorsichtig, das gerade besprochen wird. Eine Person deswegen vorschnell in eine Schublade zu stecken, kann gute Gesprächsergebnisse verbauen.
Durch einfühlendes Zuhören bleiben Lösungsmöglichkeiten offen.
Stephen Covey beschreibt diesen Weg ausführlich in seinem Buch “7 Wege zur Effektivität“*. Dabei ist das Motto “erst verstehen und dann verstanden werden”. Mit ehrlichen, offenen und interessierten Fragen lassen sich die Ziele, Motivation und Vorstellungen vom Gesprächspartner erfragen.
Auch wenn wir die Antworten auf viele Fragen des Kunden schon wissen, lohnt es sich noch etwas länger still zu bleiben und zuzuhören.
Eine weitere Möglichkeit ist es eigene Stereotypen zu hinterfragen und zu beobachten, ob diese schon zu Vorurteilen geworden sind. Zusätzlich möchte ich explizit vor Menschen warnen, die durch Vorträge Schubladen bewusst zum Inhalt machen. So etwas kritisch zu hinterfragen hilft enorm für das direkte Gespräch beim Kunden.
Die Zeit auf der Bank
Das Gespräch auf der Bank am Rhein währte nicht mehr lange. Nachdem er das Modell erklärt hatte und einige Beispiele angefügt hatte, sagte er dann: “Ich bin ja eher der rote Typ. Und die können ja eh nicht so gut mit Blau-Orientierten.” “Warum sitzen Sie dann noch hier?” fragte ich zurück.